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Anna Margareta von Haugwitz - Adelsgeschlechter der Eltern

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Die elterlichen Familien Anna Margaretas

   – Streiflichter aus der Geschichte der Adelsgeschlechter derer von Haugwitz und von Veltheim

Beide elterlichen Familien Anna Margaretas gehörten zum ritterständischen Adel, und beide besaßen einen bedeutenden Namen.

a) Vater: Balthasar Joachim von Haugwitz
Der Adlige aus einem alten Geschlecht hatte 1604 die verwitwete Erbin des Rittergutes Calbe (vgl. http://members.fortunecity.de/steinmetz41, Station 8), Magdalena von Ingersleben, geheiratet. Als sie 1611 starb, ehelichte er 1614 Sophie von Veltheim, die Tochter des Schlosshauptmanns (Verwalters) in Calbe, dessen Verwandte in Harbke ihren Sitz hatten.
Balthasar Joachim von Haugwitz stammte aus einer ursprünglich in Sachsen, vorwiegend im Gebiet von Meißen und Bautzen, ansässigen Familie. Schon im 12. Jahrhundert tauchten diese umtriebigen Adligen als von Hugwitz, Haubitz oder Haugwitz auf.

Ihr Wappen zeigt einen gekrönten Widderkopf, darüber einen Helm mit Krone, rot-schwarze Decken und einen schwarzen gekrönten Widder, der aus der Helmkrone wächst (vgl. Abbildungen unten).
Schnell breitete sich die Ritterfamilie in Schlesien, Böhmen, Mähren, Österreich und teilweise auch in Polen aus. In der polnischen Szlachta nahmen die von Haugwitz den slawischen Namen Pawlowski an.

Wappen der sächsischen von Haugwitz (Die Fotografie vom Wappen am Taufbecken in der  Wehrkirche in Lippersdorf im Erzgebirge wurde freundlicherweise von Herrn Michael Jahn, Inhaber der Musikschule Fröhlich, zur Verfügung gestellt.)

Wappen in der Kirche in Burkhardswalde bei Meißen - deutlich ist die Ähnlichkeit zum Lippersdorfer Patronatswappen der Haugwitz-Familie zu erkennen

(Die Fotografie wurde freundlicherweise von Herrn Pfarrer Toralf Walz aus Burkhardswalde zur Verfügung gestellt.)

Wappen der österreichischen von Haugwitz

Im 15. Jahrhundert hatte die Haugwitzfamilie gute und enge Beziehungen zu den sächsischen Kurfürsten. Georg und Hans von Haugwitz waren Kanzler, heute würden wir sagen: Regierungschefs, unter Kurfürst Friedrich II. Dieser Hans von Haugwitz stiftete auch die berühmte Haugwitz-Kapelle an der Nordseite der Paulinerkirche in Leipzig, die 1944 zerbombt und deren Ruine auf Befehl Ulbrichts 1968 völlig beseitigt wurde. Einer der Sitze derer von Haugwitz war Hirschstein an der Elbe. Auch nach Hans waren die Haugwitz´, obwohl nur Ritter, kurfürstliche Kanzler. Georg von Haugwitz brachte es außer zur Kanzlerschaft sogar bis zum Bischof von Naumburg.

Ruine "Hirschstein" im 19. Jahrhundert

Jahn von Haugwitz war über seine Tochter Anna der Großvater Katharinas von Bora, der Ehefrau Martin Luthers.
Ein von Haugwitz war kurfürstlicher Richter in Freiberg und in dieser Funktion mit dem spektakulären Fall von spätmittelalterlichem Kidnapping, dem so genannten Altenburger Prinzenraub, beschäftigt. Ritter Kunz von Kauffungen hatte die beiden Söhne des Kurfürsten entführt, um den Vater dadurch erpressen zu können. Mutige Köhler hatten im Wald die schon fast vollendete Flucht vereitelt. 1456 ließ der kurfürstliche Richter von Haugwitz den Entführer köpfen.
Mit Johann von Haugwitz wurde ein bedeutender Protestant Bischof in Meißen. Ein anderer von Haugwitz, Friedrich Adolf (1637 – 1705), war sächsischer Geheimer Kriegsrat, Oberhofmarschall und Obersteuerdirektor geworden. Seiner Schwester Ursula Margarethe und deren Tochter Sibylla gebührt der pikante Ruhm, die ersten kurfürstlich-sächsischen Mätressen gewesen zu sein, bis sie in Ungnade fielen und August der Starke gegen sie, auch gegen die 19jährig an den Pocken verstorbene Sibylla, einen damals viel beachteten Hexenprozess führte (zum Hexenwahn im 16./17. Jahrhundert vgl. http://members.fortunecity.de/steinmetz41, Station 1).
Diese Geschichte verlief so:
Ursula Margarethe von Haugwitz hatte eine Liaison mit dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg III., dem Vater des legendären Augusts des Starken, weshalb sie bei den protestantisch-puritanisch erzogenen Bürgern und Bauern verhasst und als Hexe verschrien war. Um der christlichen Moral zu genügen, musste die Dame von Haugwitz einen Oberst namens von Neitschütz (Neithschütz, Neidschütz, Neitschitz) heiraten, der aber laufend auf „Dienstreisen“ geschickt wurde. Am 8. Februar 1675 gebar Ursula Margarethe dem Kurfürsten eine Tochter unter dem Namen Magdalena Sibylla von Neitschütz. Der Kurfürst hatte zwei legitime Söhne, Johann Georg (1668-1694) und Friedrich August (1670-1733), den späteren August den Starken. Als die bildschöne Magdalena Sibylla ins Teenager-Alter kam, verliebte sich der ältere der Brüder, also der potentielle nächste Kurfürst Johann Georg, unsterblich in sie. Der Vater war aus nahe liegenden Gründen entsetzt, verbannte Sibylla vom Hofe und schickte den verliebten Sohn auf eine längere Bildungsreise. Das aber nützte alles nichts. Als dann 1691 Vater Johann Georg nur 44jährig an der Cholera starb, wurde plötzlich der Liebhaber Kurfürst als Johann Georg IV. Nun konnte er seine Liebe richtig ausleben. Magdalena Sibylla wurde die erste offizielle Mätresse am sächsischen Hof, die wie eine legitime Ehefrau und Beherrscherin des Hofes auftreten durfte. Das änderte sich auch nicht, als die Kurfürstin-Witwe ihren Sohn Johann Georg zwang, die 6 Jahre ältere verwitwete Markgräfin von Ansbach aus dem Hause Sachsen-Eisenach zu heiraten. Im Gegenteil, Johann Georg bevorzugte seine Favoritin und demütigte seine Ehefrau so stark, dass es am Hofe schon am Hochzeitstage zu schweren Eklats kam. Die Ermordung der neuen Kurfürstin durch ihren jungen hasserfüllten Ehemann konnte der jüngere Bruder Friedrich August nur durch ein beherztes Eingreifen verhindern, wobei der Unbewaffnete mit der Hand den Degenstoß abwendete, was ihm eine lebenslange leichte Behinderung einbrachte. Wahrscheinlich wusste Johann Georg nichts von der engen Bluts-Verwandtschaft mit Sibylla oder hielt die Hinweise für böswillige Gerüchte, jedenfalls gebar sie ihm 1693 eine Tochter, bei der, obwohl unehelich gezeugt, sogar das englische Königspaar als Taufpaten fungierte. Durch eine hohe Bestechungssumme hatte Johann Georg beim Kaiser erreicht, dass Sibylla zur Reichsgräfin erhoben wurde. Fortan residierte sie im herrlichen Schloss Pillnitz. Aber dann, als sich Bruder Friedrich August gerade beim Karneval in Venedig amüsierte, geschah das Schreckliche. Sibylla wurde sehr krank, sie hatte sich die Geißel der Barockzeit, die Pocken, zugezogen. Sie starb am 4. April 1694 und kurze Zeit später auch der junge Kurfürst, in dessen Armen sie während ihrer schweren Krankheit gelegen hatte. Völlig unerwartet war der zwei Jahre jüngere Bruder Friedrich August, der nach menschlichem Ermessen das kaum hätte werden können, Kurfürst August I. („der Starke“) geworden. In einer noch vom Hexenwahn erfüllten Zeit sah das „Volk“ in den gehäuften Todesfällen am Hofe ein Zeichen von Schadenszauberei, und die „Hexen“ waren Ursula Margarethe und ihre tote Tochter, die Reichsgräfin. August der Starke nutzte die allgemeine Stimmung, um alle Vertrauten seines verstorbenen Bruders zu entfernen. Gegen Ursula Margarethe und ihre Tochter führte er einen damals noch üblichen, aber in seinen Kreisen doch recht ungewöhnlichen Hexenprozess, bei dem auch die noch Lebende angeblich gefoltert wurde. August der Starke ließ Ursula Margarethe von Neitschütz, geborene von Haugwitz und Geliebte seines Vaters, nach dem Schuldspruch anderthalb Jahre in einem Dresdner Gefängnis zubringen. Danach lebte sie auf einem Gut ihres Sohnes, wo sie 1713 starb. Dass sie auf die berüchtigte Festung Stolpen gebracht wurde, ist wohl eine phantasievolle Ausschmückung des zeitgenössischen Schriftstellers Christian Friedrich Hunold (Menantes) in seinem Roman "Der Europäischen Höfe Liebes- und Helden-Geschichte" (Hamburg 1705). Auch die Story von dem abgewehrten Degenstoß geht sicherlich auf sein Konto. Für die Tochter des jung verstorbenen Liebespaares war Friedrich August "ein wohlwollender Vormund". Er erkannte sie als seine Nichte an, sorgte für eine gute Erziehung, stattete sie mit einer ansehnlichen Mitgift aus und gab sie - ganz im Sinne seiner Großmacht-Konzeption - einem polnischen Grafen zur Frau
(vgl. Piltz, Georg, August der Starke, Berlin 1986, Wagener, Hans, Der Europäischen Höfe Liebes- und Helden-Geschichte, in: http://www.pierre-marteau.com/library/g-1705-0002.html, Vortrag 1997 in Meißen und Hannover von Michael E. Rodger, in: http://www.beautifulnetwork.de/august/seiten/anfang.html, Burkhardt, Felix,  Gymnasiale Hausarbeit über August den Starken, in: http://www.felixburkhardt.de/downloaddateien/pdf/schule/august_der_starke.pdf u. a.). Unter August dem Starken aber, wie wir heute wissen, blühte das Mätressen-Unwesen erst richtig auf.

(Wie es der Zufall so will: In der Verwandtschaft Anna Margaretas, diesmal der engeren, gab es noch eine berühmte Mätresse - Marie Aurora Gräfin von Königsmarck (1663-1728). Sie war die Tochter des Grafen Conrad Christopher von Königsmarck (1634-1673), eines Kriegskameraden Carl Gustav Wrangels. Dieser war mit einer Schwester Wrangels, Maria Christina (1637-1691), verheiratet. Anna Margareta war durch ihre Ehe mit Wrangel also die Tante der schönen und gebildeten Aurora von Königsmarck [vgl. Asmus, Ivo, Das Testament des Grafen – Die pommerschen Besitzungen Carl Gustav Wrangels nach Tod, förmyndarräfst und Reduktion, in: Gemeinsame Bekannte - Schweden und Deutschland in der Frühen Neuzeit, hsg. von Ivo Asmus, Heiko Droste, Jens E. Olesen, Greifswald 2004.].
Die 33jährige Schwedin, die mehrere Sprachen beherrschte, kam auf der Suche nach ihrem verschollenen Bruder auch an den sächsischen Hof, wo sie August den Starken so faszinierte, dass er sie zu seiner ersten Mätresse machte. Sie gebar ihm einen Sohn, Graf Moritz von Sachsen, den späteren Marschall von Frankreich. Schon einige Monate später wandte sich August neuen Liebschaften zu, und Aurora war so klug, traurigen Herzens ihrer Wege zu gehen. Sie betätigte sich in diplomatischen Geschäften und lebte zeitweilig in der Abtei Quedlinburg, wo sie 1728 starb und beigesetzt wurde.)

 

Auch ein anderer Haugwitz fiel in Ungnade, als er kurfürstliches Wild für sich erlegte. Als Christoph von Haugwitz daraufhin zu einer milden Strafe verurteilt wurde, erdolchte er aus Wut darüber den das Urteil überbringenden Beamten. Das aber war für den Kurfürsten zu viel. Er ließ Christoph am 6. September 1613 vor der Leipziger Pleißenburg enthaupten.
Zwei der bedeutendsten Mitglieder der Familie waren absolutistische Staatsmänner in habsburgischen und in preußischen Diensten, der österreichische Staatskanzler (unter Maria Theresia) Friedrich Wilhelm, seit 1733 Graf, von Haugwitz und der 50 Jahre später lebende preußische Kabinettsminister (unter Friedrich Wilhelm II.) Christian Heinrich  Curt Graf von Haugwitz.

Christian Heinrich Curt Graf von Haugwitz (1752-1832

Beide waren bedeutende Reformer innerhalb des „aufgeklärten“ Absolutismus.

Heinrich Christian Kurt war auch an den späteren Hardenberg-Reformen in Preußen beteiligt, ein Reisefreund Goethes und mit dem „dicken Lüderjan“ Friedrich Wilhelm II. in der gemeinsamen Vorliebe für Okkultismus und Mystik freundschaftlich verbunden.

Friedrich Wilhelm Graf von Haugwitz (1702-1765)

Der „Österreicher“ Friedrich Wilhelm Graf von Haugwitz war unter Maria Theresia schlesischer Landespräsident und führte als österreichischer Kanzler bedeutende Justizreformen durch. Er war ein Förderer und Gönner Joseph Haydns.

Ein anderer Freund der Musik war Paul Graf von Haugwitz (1791 – 1856), einer der Textdichter Ludwig van Beethovens.
 

Aber das liegt schon anderthalb Jahrhunderte nach Anna Margareta.

Wie ihr Vater Balthasar Joachim als Angehöriger dieser Ritterfamilie, die vorwiegend im östlichen Teil des Reiches ansässig war, ausgerechnet in die Magdeburger Gegend kam, bleibt ein Geheimnis. Er starb 1626 in Brandenburg und wurde dort auch wegen der Kriegswirren beigesetzt.

So könnte der Herrensitz des Rittergutes Calbe im 18. Jahrhundert ausgesehen haben (Computersimulation mit "Arcon").

Portal des ehemaligen Rittergutes in der Ritterstraße  (eigentlich: "Rittergut"straße) in Calbe im Design des 18./19. Jahrhunderts


b) Mutter: Sophie von Veltheim
Wie schon oben erwähnt, heiratete 1614 Balthasar Joachim von Haugwitz nach dem Tode seiner ersten Frau Magdalena von Ingersleben (1611) die Tochter des Schlossvogts Günzel (Guntzel) II. von Veltheim (auf Harbke) und dessen Ehefrau Lucia von Rautenberg (auf Rethmar), Sophie (Sophia, Sofia) von Veltheim. Diese Sophie gebar ihm dann 1622 Anna Margareta. Aus der Ehe müssen auch noch vier andere Kinder entstammen, denn diese außer der achtjährigen Anna Margareta kamen zusammen mit der Mutter bei dem Massaker der Kaiserlichen am 22./23. September in Calbe um.
 

Wappen der Harbker Veltheims an der Patronatsloge in der Kirche St. Levini  (Foto mit freundlicher Genehmigung von Frau Sailer, Denkmalschützerin)

Auch die Veltheims finden wir schon im 12. Jahrhundert in der Geschichte. Sie stammten aus dem Braunschweigischen und benannten sich nach dem kleinen Ort Veltheim im Kreis Halberstadt. (Es gibt auch einen nur 20km entfernten Ort gleichen Namens bei Braunschweig. Auch in Nordrhein-Westfalen und in der Schweiz bei Winterthur und im Aargau gibt es die Orte Veltheim.) Einer der ritterlichen Hauptsitze der von Veltheims wurde Harbke bei Helmstedt, obwohl sie im 12. Jahrhundert zur Zeit der Ostkolonisation kurzzeitig als Grafen von Osterburg auftauchten. Nur muss man bedenken, dass damals die Bezeichnung „comes“(Graf) für einen Gebietsverwalter stand.

Seit 1107 war Adalgoz (Adalgot, Adelgot) von Veltheim Erzbischof von Magdeburg. Er gründete das Nicolaistift in Magdeburg und das Augustiner-Kloster Neuwerk bei Halle. 1128 hatte comes Werner von Veltheim die Schwester Albrechts des Bären, Adelheit, geheiratet. Er starb 1157 bei der Belagerung der slawischen "Brandenburg".

Kirche des Heiligen Levin in Harbke, dahinter der Schlosspark

1308 übernahmen Bertram und Ludolf von Veltheim die Grundherrschaft in Harbke und legten damit den Grundstein für eine Ahnenfolge, welche die nächsten 637 Jahre die Geschicke des Ortes hauptsächlich bestimmte. Unter der Herrschaft derer von Veltheim entstanden in Harbke und Umgebung Schloss, Kirche, Park und Lustwald sowie viele heute noch erhaltene Fachwerkbauten.

In dem kleinen Ort Bodenteich bei Uelzen gibt es bis heute die Sage, dass Ritter Heinrich von Veltheim die schöne Margarete von Gilten liebte. Im Zweikampf tötete er seinen Rivalen Dietrich von Bodendiek und bald danach auch dessen Vater, der den Sohn rächen wollte. Die Hochzeit mit Margarete fand nun statt. Obwohl die Geschichte ein wenig an die Don-Juan-Sage erinnert, könnte doch Wahrheit dahinter stecken.

Ein anderer Heinrich von Veltheim war mit dem Raubritter und Landfriedensbrecher Dietrich von Quitzow verschwägert.
Chronist Wusterwitz berichtet: "Im Jahre 1417 ist Dietrich von Quitzow, so der Mark mancherlei Schaden zugefügt und sie heftig beleidigt hat, in dem der Familie von Veltheim zuständigen Schlosse Harpke [heute: Harbke - D. H. St.] gestorben und zu Kloster Marienborn [deren Priorin eine Tochter Heinrichs von Veltheim war - Th. Fontane] begraben worden." Eine Schwester der Quitzows, Mathilde, hatte den Herrn des Gutes Harbke, jenen schon erwähnten Veltheim geheiratet. Sie bot dem Bruder Dietrich vor seinem Tode Asyl in Harbke (vgl. http://members.fortunecity.de/steinmetz41 , Station 11) .

Stiftskirche St. Marien und Kreuzgang des Augustinerinnen-Klosters in Marienborn, dem viele Damen von Veltheim vorstanden

Flügelaltar von ca. 1475 in der Marien-Stiftskirche (Foto mit freundlicher Genehmigung von Frau Kiwit, Kustodin)

Die Harbker Veltheim-Töchter hatten oft den Posten von Priorinnen (Vorsteherinnen) des nahe gelegenen Marien-Klosters der Augustinerinnen in Marienborn inne, waren aber in dieser Funktion auch in anderen Klöstern tätig. Diese Vorsteherinnen aus dem Veltheim-Hause sollen resolute Damen gewesen sein. Sie führten das Fräuleinstift zeitweise auch nach dem Einzug der Reformation.
1572 gab Achaz von Veltheim den Auftrag, in Harbke die Schloss- und Pfarrkirche St. Levini als Saalkirche zu errichten. Das Holz-Epitaph seiner Familie hängt an der Nordwand im Inneren der Kirche. Levin, zu dessen Ehren die Kirche errichtet wurde, soll der Legende nach ein Veltheim-Vorfahre gewesen sein. Der schottisch-angelsächsische Adlige, Mönch, Bischof und spätere Märtyrer Levin [Liafwin, Lebuin, Livinus, Liebwin] war ein Anhänger des Kirchenreformers Augustinus, wirkte zuerst in Italien, wurde von Karl dem Großen zur Sachsenbekehrung (ohne Erfolg) gerufen und ging dann zu den widerständigen Friesen, wo er um 780 in Deventer grausam ermordet wurde.

An den Innenwänden der St.-Levini-Kirche finden wir noch eine Reihe anderer Epitaphe (in früherer Grammatik: Epitaphien) aus Stein.
 

Blick ins Innere der Schloss- und Pfarrkirche des Heiligen Levin zu Harbke, rechts neben dem barocken Sandstein-Altar von 1676 die Patronatsloge derer von Veltheim, links die geschnitzte Kanzel

Holzepitaph des Kirchenstifters Achaz von Veltheim, seiner Frau Margarete von Saldern und - im kleinen Bildrahmen (unten Mitte) - Eltern und deren 12 Kinder

(Fotos mit freundlicher Genehmigung von Frau Sailer, Denkmalpflegerin)

In dieser Kirche liegt auch eine jung verstorbene Tante oder Großtante Anna Margaretas begraben, in deren Grabinschrift es nach heutiger Rechtschreibung heißt: "Anno 1587, den 23. Juni ist in Gott selig entschlafen die edle, ehrbare und vieltugendsame Jungfer Eva von Veltheim, Guntzel von Veltheims Tochter, deren Seele Gott gnädig und barmherzig sei [Hervorhebung von mir - D.H.St.].

Als die Harbker Veltheim-Familie in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Mannes-Stamm erlosch, schloss man die Familien-Gruft unterhalb des Altares. Die Patronats-Loge (Herrschaftsstuhl) mit separatem Kircheneingang befand sich rechts vor dem Altar. Zu den Veltheim-Repräsentationen gehörten in erster Linie das Harbker Wasserschloss und die landschaftsgestaltenden Maßnahmen des aufgeklärten Landesabsolutismus - wie der Harbker Schlosspark, der von Zeitgenossen in eine Reihe mit dem von Wörlitz gestellt und der auch von Goethe zu Studienzwecken besucht wurde. Zu den von den Harbker Veltheims geschaffenen Landschaftsbauten gehört auch die Orangerie im Park, die von den örtlichen Heimatfreunden, allen voran von Familie Sailer, liebevoll restauriert wurde.

Im Zeitalter des Absolutismus bekamen einige von Veltheims für ihre Verdienste als landesfürstliche Staatsbeamte den Grafentitel. Sie waren Herzogliche Braunschweig-Lüneburgische Staatsminister wie Graf Werner von Veltheim oder Braunschweiger Legationsrat, Kammerjunker und Hofjägermeister wie Georg Philipp von Veltheim.
Wie auch andere ihrer Zeit- und Standesgenossen förderten Mitglieder dieser Adelsfamilie die Landschaftskultur und die barocke und klassizistische Architektur.
Einige von ihnen machten sich im 18. Jahrhundert als Chemiker wie August Ferdinand von Veltheim oder als Dichter wie der Braunschweiger Autor historischer Dramen und Vertreter des Poetischen Realismus Hans Graf von Veltheim (1818 – 1854) einen Namen.
Nur einer ging auf sozialistisch-kommunistische Positionen über, es war der Marx-Freund Werner von Veltheim.
Eine andere Ausnahme in der Familie, wenn auch auf anderem Gebiet, stellte Ursula Hedwig von Veltheim dar. Sie war eine der beiden einzigen Frauen, die im 17. Jahrhundert Vorsitzende einer deutschen Sprachgesellschafts-„Zunft“ wurden. Die deutschen Sprachgesellschaften, deren bekannteste die „Fruchtbringende Gesellschaft“ und die „Deutschgesinnte Gesellschaft“ waren, entstanden mit der aufklärerischen Gedankenwelt im deutschen Bereich als erster Ausdruck eines fortschrittlichen Nationalgefühls. Inmitten des absolutistischen Umfeldes regten sich in den Gesellschaften auch erste Gleichheitsbestrebungen; der Anteil bürgerlicher Mitglieder war relativ groß. Adlige und Bürgerliche erhielten bei ihrer Aufnahme Mitgliedsnamen aus der Pflanzenwelt, welche die im Bereich des wissenschaftlichen Denkens als unproduktiv angesehenen Standesunterschiede überdecken sollten. Die bedeutendsten Literaten der Zeit gehörten diesen Gesellschaften an. Die Sprachgesellschaften hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die damals schon wuchernden Einflüsse der Fremdsprachen auf die deutsche Sprache zurückzudrängen und ein öffentliches Bewusstsein für die Schönheit der deutschen Poesie und Grammatik zu schaffen. Anderthalb Jahrhunderte später führte die neu entstehende Germanistik der Brüder Grimm das Werk fort.
Wie schon erwähnt, gab es nur zwei Frauen als „Zunft“(heute würden wir sagen:„Vereins“)-Vorsitzende, die innerhalb der Deutschgesinnten Gesellschaft aktiv waren: Ursula Hedwig von Veltheim und Catharina Regina von Greiffenberg. Diese Frauen müssen ein außerordentliches Wissen besessen haben, wenn sie in Vereinen von Gelehrten und literarisch gebildeten Menschen als Vorsitzende bestehen konnten.
Im 19. Jahrhundert siedelten sich einige Mitglieder der Familie in Vorpommern an.
Auch im 20. Jahrhundert brachte die Familie einen bedeutenden Wissenschaftler, Forscher und Schriftsteller hervor, der mit seinen Asienreisen und –büchern Aufsehen erregte: Hans-Hasso von Veltheim-Ostrau (1885 – 1956).
Aber das liegt auch schon wieder drei Jahrhunderte nach Anna Margareta.
Wir sehen, dass es sich bei den Familien ihrer Eltern um bedeutende Adelsgeschlechter handelte.
Und noch heute, lange nach der Ständegesellschaft und mitten in der bürgerlichen Demokratie stehen die Mitglieder der alten Geschlechter von Haugwitz und von Veltheim aktiv im gesellschaftlichen Alltag.

Die Mutter Anna Margaretas, Sophia von Haugwitz geborene von Veltheim, starb 1630 zusammen mit vier ihrer Kinder, wahrscheinlich beim grässlichen Massaker der Kaiserlichen am 22./23. September.

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